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Vergessene Pioniere der Rohkost- und Fastenbewegung

Walter und Ellen Thiele und das «Sanatorium Diätkurhaus Walter Thiele» in Gmund am Tegernsee

Dr. Edmund Semler

 

Ellen und Walter Thiele

Die Geschichte der Medizin legt ein beeindruckendes Zeugnis von Persönlichkeiten ab, die als medizinische Laien in eigener leidvoller, ja hoffnungsloser Situation selber aktiv wurden und durch konsequente Änderung ihres Lebensstils die wirksamen Heilfaktoren der Naturheilkunde erlebten, gesundeten und zu Botschaftern der Lifestyle-Medizin wurden. Diesbezüglich ist die beliebte Urlaubsregion Tegernsee in Oberbayern zu erwähnen, wo im letzten Jahrhundert neben den beiden bedeutsamen ganzheitlich orientierten Krebsärzten Josef Issels (1907-1998) und Karl Windstosser (1906-2000) auch der Ernährungsfachmann und Schriftsteller Walter Thiele (1883-1966) mit seiner Frau Ellen Thiele (1907-1981) wirkte. Beide haben tausende Gäste und Patienten dazu motiviert, den Weg der «aktiven Diätetik» nach Hellmut Lützner einzuschlagen und ihre Ernährung nach dem Motto «Mehr Frischkost!» auf vegetarische Vollwert-Ernährung mit hohem Rohkostanteil umzustellen. Damit wurde vielen Menschen zu einer erheblichen Verbesserung der Gesundheit oder gar Heilung ihrer körperlichen Beschwerden verholfen. Walter Thiele zählt deshalb zu den Pionieren der Rohkost und somit Ernährungsmedizin.

 

Wer diese enormen Heilfaktoren: Sonne – Luft – lebendige Nahrung in Verbindung mit lebendigen Kräutern erkannt hat und anwendet, kann schwerstes Leid in blühende Gesundheit verwandeln. Walter Thiele

Dr. Edmund Semler und
Ursula Grimm-Thiele

Während eines mehrwöchigen Aufenthaltes am Tegernsee hatte ich am 20. Februar 2022 die Gelegenheit, die Tochter von Walter und Ellen Thiele, Frau Ursula Grimm-Thiele, in Tegernsee zu treffen und mit ihr über Leben und Werk ihrer Eltern zu sprechen.

Der am 3. Januar 1883 in Köln geborene Walter Thiele wurde nach seinen humanistischen Studien Offizier und trat nach dem Ersten Weltkrieg als Beamter in den Dienst der Regierung. Im Alter von 42 Jahren litt er an ständiger Kiefer- und Stirnhöhlenvereiterung, an Magen-Darm-Geschwüren und an massivem Untergewicht. Als von den Ärzten aufgegebener Patient wurde er frühpensioniert.

Durch ein Gespräch mit einem jungen Assistenzarzt erfuhr er vom Schweizer Arzt Max Bircher-Benner* und damit von Rohkost. Er studierte die Literatur von Bircher-Benner und besuchte diesen in seiner Klinik in Zürich. Auch mit Werner Kollath* und Are Waerland* nahm er Kontakt auf.

Bald sollte Walter Thiele eine wundersame Wende in Sachen Gesundheit erleben.

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Nach intensiven Recherchen zog er sich für drei Jahre in eine Hütte im Schwarzwald zurück, wo strenge Rohkost Heilung seiner Leiden brachte. Dieses dramatische Erlebnis schildert er rückblickend wie folgt: «Mich selbst hat ein langes, schweres Leiden auf den rechten Weg gebracht. Die Naturgesetze, die ich leider zu wenig kannte, wollten andere als die übliche Kost, wie auch ich sie seinerzeit zu mir nahm. [...] Als Todeskandidat griff ich nun zur Pflanzenkost, und von dieser aß ich mehr roh, und siehe da, mit der Gesundheit ging es alsbald bergauf.»

Anfang der 1930er Jahre veröffentlichte Thiele seine ersten Schriften und unternahm in den folgenden drei Jahrzehnten unzählige Vortragsreisen im deutschsprachigen Raum. So führte er beispielsweise im Jahre 1933 im Kurhaus Cademario bei Lugano einen dreitägigen Rohkostkurs durch. Links im Bild das herrlich gelegene Kurhaus Cademario mit Blick auf den Luganersee in den Dreissiger Jahren.

Der Schweizer Pionier für eine naturgemäße Lebens- und Heilweise Dr. med. Adolf Keller-Hoerschelmann (1879-1969) hat dieses noch heute bestehende Haus 1914 gegründet. Walter Thiele bezeichnet er als «begeisterten Vorkämpfer für die Rohkostfrage» mit ausgeprägter Überzeugungskraft: «Thiele ist der Mann, der mit größter Begeisterung für seine Sache eintritt und durch seine Vortragsweise es versteht, diese Begeisterung auf andere Menschen zu übertragen.»

Rohkost-Dinner bei einer Veranstaltung von Walter Thiele in Berlin

Rohkost-Dinner bei einer Veranstaltung von Walter Thiele in Berlin

In den Festsälen diverser deutscher Großstädte besuchten bis zu 1000 Zuhörer Thieles Rohkostvorträge und kamen anschließend in den Genuss eines mehrgängigen *Rohkost-Dinners . Zwei Jahre lang (1958/1959) begleitete ihn dabei seine Tochter Ursula. Im Jahre 1957 kam von Karl Windstosser das freundschaftliche Angebot, das ehemalige Himmler-Haus in Gmund zu pachten und dieses in ein Diätkurhaus umzufunktionieren. So wurde noch im selben Jahr das »Sanatorium Diätkurhaus Walter Thiele« eröffnet, das bis 1981 von Ellen Thiele, der zweiten Ehefrau von Walter Thiele, geführt wurde: „Meine Mutter war die Oberchefin, die Seele des Hauses. […] Das Sanatorium war ein Lebensziel für meine Eltern.“

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Das «Sanatorium Diätkurhaus Walter Thiele» (1957-1981) in Gmund am Tegernsee

Im 40 Betten umfassenden Sanatorium arbeiteten phasenweise bis zu 8 Mitarbeiter, die sich zum Teil auch um weitgereiste Gäste (z.B. USA) kümmerten: «Zum Frühstück gab es Müsli und frisch gepresste Säfte. Zu Mittag gab es auch gedämpftes Gemüse. Die Kurhausbesucher blieben 3 bis 4 Wochen.» Medizinisch begleitet wurde das Haus von Dr. med. Herbert Peters (1910-1990), der im Nachbarort wohnte: «Wir hatten einen Arzt, der immer da war gleich in der Nähe in Tegernsee, Dr. Peters. Wenn irgendetwas war, dann ist er sofort gekommen.»

Das Haus war durchgehend immer gut besucht, außer im Januar und Februar war etwas weniger los. Alle Lebensmittel wurden im Reformhaus eingekauft und entsprachen damit Bio-Qualität. Besonderen Wert legten die Thieles auf die Schmackhaftigkeit der Rohkostspeisen, bei welchen möglichst viel frische Kräuter eingesetzt wurden. Die Rezepte wurden von Ellen Thiele und Ursula Grimm entwickelt , wobei besonders die Mandelmus-Mayonnaise bei den Kurgästen extrem gut ankam. Die Umstellung der Ernährung klappte bei den Gästen erfahrungsmäßig gut: «In der Regel gab es bei der Umstellung auf Rohkost keine großen Probleme.»

Tipps | Rezepte zum Umstellen der Ernährung, Ingeborg Burger-Günter

Originalrezepte

Hier können Sie einige der damals im Kurhaus beliebtesten Originalrezepte von Ursula Grimm und Ellen Thiele runterladen, aus dem Buch „Mehr Frischkost“ von Walter Thiele. Mit freundlicher Erlaubnis von Ursula Grimm.

Rezepte aus «Mehr Frischkost»

Rohkost-Rezepte

Hier finden Sie zahlreiche Rohkost-Rezepte von Ingeborg

Rezept Datenbank

Bild vom ehemaligen Kurhaus

Ehemaliges Kurhaus heute

Im Hausprospekt wurde das Sanatorium wie folgt beworben: «Wer Erholung sucht, wer seine Gesundheit erhalten und stärken oder durch Kuren und die richtige Diät wiedergewinnen will, wer sein Übergewicht ohne Hungerqualen verlieren möchte – der findet im Diätkurhaus Walter Thiele am Tegernsee genau das, was er sucht. Denn unsere sinnvolle Diät (deren Schmackhaftigkeit von verwöhnten Essern gerühmt wird), die gepflegte, freundliche Atmosphäre des Hauses, die gemütlichen Zimmer und die behaglichen, großzügigen Aufenthaltsräume fördern in glücklicher Weise Erholung und Gesundheit.»

Der Erfolg Walter Thieles ist zum großen Teil auf seine engagierte Ehefrau Ellen Thiele zurück zu führen, aber natürlich auch auf sein Charisma und seine Überzeugungskraft, mit welchen er Zuhörer und Leser für die Rohkost begeistern und motivieren konnte, wie es seine Tochter zusammenfassend kommentiert: «Durch seine Geschichte konnte er die Leute überzeugen. Und die Menschen spürten auch, dass es vom Herzen kam . […] Mein Vater war ein starker Typ und ein erfolgreicher Mann. Er war ein sehr guter Historiker, charakterfest und liebenswert! Von ihm habe ich es gelernt, auf mein Leben, meine Lebensweise und meine Ernährungsweise zu achten.»

Walter und Ellen Thiele konnten über die vielen Jahre immer wieder beobachten, wie Kranke durch Umstellung ihrer Lebens- und Ernährungsweise Besserung oder Heilung ihrer Beschwerden erlebten, wie er es 1960 rückblickend zusammenfasst: «Unendlich viele Briefe könnte ich dem Leser zur Verfügung stellen, wo Schwerkranke, meist Aufgegebene, durch die sechs Heilfaktoren Sonne, Luft, Wasser, Erde, lebendige Nahrung und lebendige Kräuter gesundeten; darunter Lungentuberkulose, Asthma, Diabetes, Epilepsie, Geisteskrankheit, Kropf, Blasen-, Nieren- und Gallensteine, Gicht und Rheuma, Kreislaufstörungen , usw. Freilich gibt es auch für die naturgemäße Heilung ein Zuspät … […] Geht man beizeiten zur Rohkost über, so kann man wahre Wunder der Heilung erleben, die, bei Licht betrachtet, gar keine Wunder sind, denn in der Natur geht alles einfach, ordnungsmäßig und korrekt zu. Wer die Naturgesetze beachtet, wird automatisch mit Gesundheit belohnt. […] Gesundheit führt nicht durch die Apotheke, sondern durch die Küche!»

Vollwertnahrung - Pfanne mit Teigwaren und Gemüse
Rohkost-Dinner bei einer Veranstaltung von Walter Thiele in Berlin

Gekochte Nahrung beurteilt Thiele nicht pauschal als „tot“ oder „wertlos“, wie es in Kreisen von Rohköstlern oftmals der Fall ist. Derartige Sichtweisen hält er für übertrieben. Es gehe keinesfalls darum, nur noch Rohkost zu essen, sondern im Rahmen einer gesund erhaltenden Dauerernährung täglich auf eine genügend hohe Aufnahme von roher Nahrung zu achten. Hierbei genügen seiner Meinung nach drei Mahlzeiten am Tag. Von Fanatismus jeglicher Art distanzierte er sich zeitlebens und empfahl einen pragmatischen Umgang mit den jeweiligen Begebenheiten: «Ich selbst lebe hauptsächlich von Obst, Nüssen, Honig, Salaten und Rohgemüsen. Bekomme ich auf der Reise keine liebevoll und schmackhaft zubereitete Rohkostplatte, esse ich auch mal die übliche Kost unter Vermeidung der bedenklichen Dinge. […] Als Zukost esse ich zur Rohkost gern gedämpfte Kartoffeln, gedünstete Speisen oder Vollkornbrot usw. und trinke viel Obst- und Pflanzensäfte sowie klares Wasser. So habe ich eine glückliche Lösung gefunden zwischen Beachtung der Naturgesetze und Rücksichtnahme auf die wirklichen, nun einmal gegebenen Zustände.»

Hier kommen zwei grundlegend wichtige Prinzipen einer gesunden Ernährung zur Sprache, nämlich jenes des undogmatischen Verhältnisses zum Essen, weshalb man unter bestimmten Umständen auch mal völlig entspannt, dankbar und bewusst genießend gegen seine Ernährungsregeln «verstoßen» kann, sowie jenes des gezielten Weglassens. Besonders Letzteres hat auch die Tochter von Walter Thiele anscheinend beherzigt. Auf meine Frage «Frau Grimm, worauf führen Sie Ihre geistige und körperliche Vitalität im Alter von 88 Jahren zurück?» antwortete sie mir lapidar : «Ich versuche möglichst wenig zu tun, was mir nicht gut täte.»

Walter Thieles Botschaft lässt sich mit einem seiner Buchtitel treffend auf den Punkt bringen: «Gesund und leistungsfähig auf einfachstem Wege!». Bei diesem Lebensmotto «Einfach Leben» dachte er als leidenschaftlicher Wanderer und Liebhaber der Berge sowie als «Sonnenanbeter» nicht nur an die Ernährung, sondern auch an andere wichtige Lebensstilfaktoren, wie er es in seinem Buch «365 Tage Rohkost» aus dem Jahre 1931 zusammenfasst: «Um gesund zu werden und gesund zu bleiben, braucht man außer der Rohkost unbedingt viel Bewegung in frischer Luft, Schlafen bei offenem Fenster, wenn irgend möglich Sonnenbäder und für besondere Fälle Heilkräuter […].

Wer diese enormen Heilfaktoren: Sonne – Luft – lebendige Nahrung in Verbindung mit lebendigen Kräutern erkannt hat und anwendet, kann schwerstes Leid in blühende Gesundheit verwandeln. Er ist befreit von allen Äußerlichkeiten, sucht nicht mehr seine Heilung in Mitteln und Mittelchen, Tropfen, Pillchen und Kügelchen. Er hat das Übel an der Wurzel erfasst und geht von innen heraus der Erneuerung entgegen!»

«Gesundheit führt nicht durch die Apotheke, sondern durch die Küche!» Walter Thiele


Literatur:

Keller-Hoerschelmann A: Der Rohkostkurs von Walter Thiele. Cademario-Nachrichten 14 (10) : 186-188, 1933

Lehmeier A: Seiner Zeit voraus, heute aktueller denn je: Der Gmundner Walter Thiele und seine »vernünftige Rohkost«. Tegernseer Tal 140 : 50-51, 2004

Semler E: Walter Thiele. In: Semler E: Rohkost: Historisch, therapeutische und theoretische Aspekte einer alternativen Kostform. Dissertation, Universität Gießen, S. 77-78, 2006

Thiele W: 365 Tage Rohkost. Verlag Frischkostkurse Walter Thiele, Hamburg, 159 S., 1929

Thiele W: Natürliche Heilfaktoren gegen Krankheiten aller Art. Frischkostkurse Walter Thiele, Freiburg, 1. Aufl., 170 S., 1932

Thiele W: Fröhliche Rohkost! Reform-Rundschau 19 (7) : 3, 1951

Thiele W: Natürliche Heilfaktoren gegen Krankheiten aller Art. Frischkostkurse Walter Thiele, Freiburg, 2. Aufl., 180 S., 1953

Thiele W: Gesund und leistungsfähig auf einfachstem Wege! Rohkostlehrgänge Walter Thiele, München, 48 S., 1960

Thiele W: Sanatorium Diätkurhaus Walter Thiele. Gmund am Tegernsee/Oberbayern, 8 S., o.J.

Thiele W, Thiele E: Mehr Frischkost! Frischkost- und Spezial-Diät-Rezepte. Verlag Walter Thiele, Gmund, 175 S., 1970

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